Inklusion – eine Herzensangelegenheit

Vier Stunden quer durch Berlin, vier Stunden vollgepackt mit Informationen zu „Inklusion im Sport – Angebote und Akteure“. Informationen für Kopf, Ohren und Augen bei den drei ausgewählten „Best Practice“-Beispielen, die zeigten, wie gute Ideen nicht nur in Sonntagsreden gedrechselt, sondern auch engagiert in die Tat umgesetzt werden können..

Denn nicht nur an den drei Stationen Ruderclub Hevella in Spandau (Rudern mit geistig Behinderten), Budo Club Ken Shiki in Heiligensee/Reinickendorf (Judo mit körperlich und geistig Behinderten) und bei den Karower Dachsen in Pankow (Lauftandem-Projekt mit Seh- und Körperbehinderten) gab es demonstrativen Anschauungsunterricht, was unter Inklusion zu verstehen ist und wie sie vorbildhaft umgesetzt wird.

Es war ein Teil der geballten Kompetenz(en) an Bord, die zur Sache Auskunft gaben, aber auch gespannt auf die „Theorie“ an der Basis waren. Sport-Staatssekretär Andreas Statzkowski, DOSB- und LSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper, LSB-Präsident Klaus Böger. die sehbehinderte mehrfache Schwimm-Paralympicssiegerin Daniela Schulte, der Deaflympics-Goldgewinner und 2. Vorsitzende des Berlin-Brandenburger Gehörlosen-Sportverbandes, Jürgen Schuster, Franz Allert, durch Beruf (Präsident des Landesamtes für Gesundheit und Soziales) und Sport (Präsident des Deutschen Tanzsportverbandes) Experte, Dr. Ralf Otto, Vizepräsident des Behinderten-Sportverbandes Berlin und Präsident des Paralympischen Sportclubs (PSC), Frank Kegler, Leiter der LSB-Sportschule und LSB-Vertreter im Berliner Netzwerk „Sport und Inklusion“ sowie Kirsten Ulrich von eben diesem Netzwerk und Ideengeberin des Karower Lauftandem-Projekts füllten die Fahrzeit zwischen den Stationen mit Fakten und Wissen. Die Tour gab einen außerordentlich interessanten Einblick in die Theorie und Praxis der Inklusion, wie es Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper formulierte.

Inklusion, so Klaus Böger, sei kein neues Thema für den Berliner Sport, auch wenn es in der Begrifflichkeit so scheine. Früher stand dafür zumeist das Wort „Integration“, aber wegen des prioritären Bezuges auf Menschen mit Migrationshintergrund, sei nun mit der Annahme der UNO-Behindertenrechtskonvention vor fünf Jahren und dem dort verwendeten Begriff „Inklusion“ eine unmissverständliche Klarstellung gegeben. Böger sah Berlin insgesamt durchaus „auf der Höhe der Zeit“, merkte aber an, „das ist keine Sache, die von heute auf morgen zu erledigen, sondern die mit einem langen Weg in die Köpfe verbunden ist“. Das verlange weitere Veränderungen in der Infrastruktur und auch in den Vereinen.

Klartext gab es von Staatssekretär Andreas Statzkowski, der sich als Vorsitzender eines Sportvereins (SCC) quasi „zwangsläufig“ in der Materie auskennt. „Sport ist nicht nur 1. Bundesliga, er ist wesentlich breiter aufgestellt. Und Inklusion ist deshalb nicht nur tagespolitisch wichtig, sondern eine Herzensangelegenheit.“ Damit war der Satz des Tages gesagt, an dem alles weitere zu messen war. Weiter: „Wir brauchen nicht nur aufmunternde Gesten, sondern konkrete Schritte.“ Dies betreffe vor allem die behindertengerechte Anlage von Sportstätten. In den künftigen Haushaltsverhandlungen (2015, 2016/17) sei das zu berücksichtigen. Statzkowski monierte – für Politiker erstaunlich direkt – auf  viele „Sonntagsreden, aber sehr überschaubare konkrete Unterstützung“.

Nun habe der Senat erstmalig ein 200 000 Euro-“Teilhabeprogramm“ für 2014/15 initiiert, mit dem Projekte bei Integration, Inklusion, Frauen- und Mädchensport unterstützt werden sollen

Beim Spandauer RC Hevella hat Inklusion ein sinnträchtiges symbolisches Bild: man sitzt in einem Boot. Monika Tampe, Abteilungsleiterin Reha- und Behindertensport des Vereins, ist der Spiritus rector des Ganzen, das vor mehr als einem Jahrzehnt seinen Anfang nahm. Seitdem gehören die Berliner zu den wenigen Vereinen in Deutschland – maximal eine Handvoll – die sich diesem speziellen Feld des Wassersports widmen.

Über die Jahre verbesserten sich die von Tampe betreuten und trainierten Mixed-Boote, die als Vierer je zur Hälfte männlich und weiblich besetzt waren, so gut, dass sie international konkurrenzfähig waren, Berlin bei WM vertraten und Medaillen gewannen. Allerdings darf man hier auf die zitierte Bemerkung von Statzkowski zurückkommen, die Unterstützung blieb „überschaubar“, vieles musste improvisiert und selbst bezahlt werden. Einstweilen ist die Bootsklasse vom Weltruderverband FISA wegen mangelnder Teilnahme aus dem Programm genommen worden. „Wir machen weiter, Teilhabe am Leben kann ja nicht von  Funktionärsbeschlüssen abhängig sein“, sagt Monika Tampe. Im Verein habe es die Behindertenabteilung „längst auch den letzten Zweiflern angetan und ist eine ganz starke Bank“. Ohne die „Handicaps“ im Verein „würde manches nicht gehen“. Welch ein wunderbares Kompliment! Die Behinderten sind eine Bereicherung für den Verein. „Sie haben immer gute Laune, sind immer gut drauf.“ Und so heißt auch das Boot, mit dem sie den Journalisten zeigten, dass sie es können: „Gut drauf!“

Ein Eindruck, den man auch von den beiden folgenden Stationen in Reinickendorf und Karow mitnimmt. Hie wie da wird deutlich, dass der „Alltag“ des Vereinslebens kein sorgenfreier ist, dass er nur durch ausgeprägte Eigeninitiative und Selbsthilfe zu bestehen ist. Aber es wird vor allem auch deutlich, dass man den Satz „Nur, wer schon vorher aufgibt, hat verloren!“ zur Handlungsmaxime gemacht hat. Dafür stehen beim BC Ken Shiki in Reinickendorf der gebürtige Ägypter Hamdy Mohamed, der den Verein mit jetzt 70 Mitgliedern 2009 gründete, und bei den Karower Dachsen  Vereins-Vorstand und Lauftandem-Initiatorin Kirsten Ulrich. Mohamed hat Anfang April die Internationalen Deutschen Meisterschaften im G-Judo (das G steht für geistig Behinderte) organisiert, bei denen seine Ken Shiki-Schützling richtig absahnten und diverse Titel gewannen.

Und das gegen Konkurrenz aus zehn Bundesländern, Österreich und den Niederlanden. Mohameds Erfahrungen beim Versuch, Judo für geistig Behinderte in bereits vorhandene Strukturen zu integrieren, sind unterschiedlicher Art. Dass die IDM von der Senatsverwaltung unterstützt wurde, Frank Henkel gar die Schirmherrschaft übernahm, empfand er als Zeichen. Dennoch, aus seiner Sicht muss es weitere und bessere Lösungen geben. Sein Engagement will er auf jeden Fall fortsetzen, denn Judo hält er für „einen idealen inklusiven Sport, der Strukturen schafft, das Selbstbewusstsein stärkt und den Behinderten täglich zeigt: auch ich kann etwas bewegen.“

Im wortwörtlichen Sinne trifft das auch auf das „Lauftandem-Projekt“ der Karower Dachse zu. Kirsten Ulrich, Vorstand des Vereins und im Berliner Netzwerk „Sport und Inklusion“ aktiv, hat sich selbiges 2011 einfallen lassen. Das gemeinsame Laufen von je einem Sehenden und einem Sehgeschädigten, die durch ein Band miteinander verbunden sind, ist eine ebenso simple wie in den Details wohlüberlegt umzusetzende Idee. Das Projekt ist deutschlandweit einzigartig. Das zeigt sich u.a. darin, dass Vereine aus Bayern, NRW oder Hamburg bei den Dachsen um logistische Hilfe nachgefragt haben, und auch darin, dass manche Interessenten um des lieben Laufens wegen längere Wege bis nach Karow in Kauf nehmen, um ihrer Passion frönen zu können. Wie zum Beispiel Michael Grabsch (47) aus Reinickendorf, für den in seinem Kiez bis dato kein passender Guide gefunden wurde. Kirsten Ulrich, Initiatorin des Lauftandems, weiß aus eigenem Erleben, wie wichtig der Sport als „Medizin“ für soziale Mobilität, gegen Kontaktarmut und Vereinsamung ist.

Ende 2003 schien die Diagnose Krebs, Operation und Chemo für sie das Ende aller Träume. Weitere Krankheitsprobleme folgten, doch Kirsten Ulrich kämpfte bzw. „lief“ dagegen an. Über 20 Marathons hat sie inzwischen bestritten, das Laufen zum Sport, zur Therapie und Lebensphilosophie gemacht. Die lässt sich am kürzesten in zwei Worte fassen: „Think Positive!“ Daniela Schulte, die blinde Schwimmerin, die 2012 zu Berlins Sportlerin des Jahres gewählt wurde – ein Hurra der Inklusion! -, hofft, dass es mal gemeinsame Deutsche Meisterschaften von Behinderten und Nichtbehinderten gibt. „Erst das Finale der einen, dann das der anderen. Teilhabe eben. Inklusion, das heißt für mich: gemeinsame Problemlösungen und Vorteile abbauen. Dafür muss man sich füreinander interessieren und voneinander wissen.“

 

KLAUS WEISE

Newsletter abonnieren
Jetzt registrieren
Finde uns auf
Facebook
Suche

Werbeanzeige

Banner