Die Kanutin, die Ihre Rennen im Kopf entscheidet

Wenn der Startschuss fällt, hat das Rennen für Josephine Wichmann schon längst stattgefunden. In ihrem Kopf. Die 17-jährige Kanutin überlässt nichts dem Zufall, bevor sie ihren ersten Paddelschlag ins Wasser setzt. Stärken und Schwächen ihrer Gegnerinnen kennt sie meist ebenso gut wie deren Bestzeiten. Mit großer Hingabe studiert sie die Zahlen, setzt ihr eigenes Leistungsvermögen dazu gedanklich schon einmal ins Verhältnis. Auf dem falschen Fuß erwischen kann man Berlins Nachwuchssportlerin des Monats November nicht.

„Ich kann meine Position und die der anderen deshalb vorher schon sehr gut einschätzen. Meist verläuft das Rennen dann auch in etwa so, wie ich es erwartet habe“, sagt Wichmann, für die der mentale Aspekt beim Kanusport genauso dazugehört wie ein kräftiger Vorwärtsdrang. Diese Akribie hat ihr im September einen Weltmeistertitel beschert.

Wichmann paddelt im K4 zum WM-Titel über 1000 Meter

Im ungarischen Szeged war bei der Junioren-WM über 500 Meter niemand schneller als die Berlinerin mit ihren Kolleginnen Hedi Kliemke, Maike Jakob und Chantal Tornow im Vierer-Kanadier. Nach einer berauschenden Zeit von 1:53.41 Minuten stand der größte Erfolg in Wichmanns noch junger Karriere fest. Im Einer über 1000 Meter fuhr sie ein weiteres WM-Finale, belegte am Ende Platz sechs.

„Die Tage in Ungarn waren extrem aufregend und schön. Aber auch ein bisschen stressig“, gibt Wichmann zu. Sie merkte nämlich, dass ihre verkopfte Herangehensweise manchmal auch mehr Fluch als Segen sein kann. „Ich war sehr nervös. Oft verpasse ich deshalb einen guten Start und komme erst im Mittelteil der Strecke in Schwung. An meiner mentalen Stärke muss ich noch arbeiten.“

Glücklicherweise ist die gebürtige Magdeburgerin keinesfalls ungesund ehrgeizig. Im Gegenteil. Statt auf eine prall gefüllte Medaillenwand kommt es Josephine auf die persönliche Weiterentwicklung an. Mit elf Jahren hat sie über eine Talentsichtung in der Grundschule zum Kanusport gefunden, vorher stand Tennis hoch im Kurs. „Auf dem Wasser kann ich abschalten, da vergesse ich den ganzen Stress, der einen an Land so umgibt“, erzählt die Weltmeisterin.

Kanutin ist auch leidenschaftliche Bäckerin

Die Athletin des Berliner Kanu-Clubs Borussia (BKCB) organisiert ihr Training über das olympische Stützpunktsystem mit Coach Dominik Ziegler. Wichmann gibt sechs Mal in der Woche Vollgas. Bereits um 7:15 Uhr paddelt die Abiturientin erste Meter auf der Regattastrecke auf der Dahme, nach der Schule stehen meist weitere Einheiten im athletischen Bereich an. Alles für das Ziel, es auf den olympischen 500 Metern weit zu bringen.

Ein Abitur mit einem Einser-Schnitt strebt Wichmann auf dem Flatow-Gymnasium außerdem an: „Das erfordert viel Disziplin, aber es ist möglich, alles unter einen Hut zu bekommen.“ Heilig ist der Sonntag. Da wird bei den Wichmanns nicht gepaddelt, sondern gebacken. „Immer ein Kuchen. Das macht mir einfach Spaß.“ Und lecker ist es auch – weil Josephine nicht nur bei ihrer Rennvorbereitung mit größter Sorgfalt vorgeht.

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