Fußball: Berliner Migrantenverein - Aufstieg und Fall von Türkiyemspor

 

SONDERBEITRAG

 

Türkiyemspor verabschiedete sich dieser Tage ins fußballerische Nirwana. In Kreuzberg blieben Tränenbäche aus. Vielleicht gab es da und dort ein trauriges Kopfschütteln - bei denen, die den Klub einstmals fast ganz groß machten.

Die Insolvenz von Türkiyemspor ist für den Berliner Fußball eine traurige Sache. Der Klub wurde Ende der siebziger Jahre von Hobbykickern in Kreuzberg gegründet und gilt seitdem als Vorzeigeklub in Sachen Integration.

Doch zu sehr hatte sich der Klub in den letzten Jahren von seiner eigentlichen Klientel entfernt. Türkiyemspor hat es versäumt zu punkten und Fans ins Stadion zu locken. Fast eine Million Schulden hat der Verein angehäuft. Das ist im Fußball keine ungewöhnliche Schuldensumme. Sie reichte aber offensichtlich, um den 1978 als BFC İzmirspor gegründeten Immigrantenklub in den Abgrund zu stürzen.

Die Liste der Türkiyem-Funktionsträger veränderte sich in den letzten Jahren in atemberaubendem Tempo, jedoch trug keiner von ihnen zur Gesundung des Vereins bei. Einmal bei Türkiyemspor Chefchen zu spielen war anscheinend Antrieb genug.

Izmirspor hieß der Klub, weil anfangs viele Spieler aus Izmir stammten. Bis 1983 kickten die Izmirbuben in der Freizeitliga. Dann begann ein geradezu märchenhafter Aufstieg der Kreuzberger, der sie 1987 bis in die Landesliga Berlin führte. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Verein in \"Türkiyemspor Berlin e. V\" umbenannt. Er wollte nun Klub aller türkischen Immigranten sein, Türkiyem heißt \"meine Heimat\".

Nach einem abermaligen Aufstieg kickten sie in der höchsten Berliner Spielklasse. Türkiyemspor war blitzartig der bekannteste Migrantenverein der Bundesrepublik. Die Truppe spielte richtig guten Fußball. Das zog Fans aus der türkischen Gemeinschaft Berlins, vor allem Kreuzberger. Bei manchen Spielen schauten knapp 1000 Zuschauer im Katzbachstadion vorbei, gelegen am Kreuzberger Viktoriapark.

Beim DFB hatte man extra den „Lex Türkiyemspor“ eingeführt. Damals durften nur zwei Ausländer in einer Bundesligamannschaft spielen. Um Türkiyemspor mit seinem türkischen Team einen Aufstieg in die Zweite Liga zu ermöglichen, wurde der Fußballdeutsche geschaffen. Wer über sechs Jahre in Deutschland lebte und kickte, galt hinfort als Deutscher! 

Türkiyemspor war 1987 fast so populär wie Hertha

Berlin bot seinerzeit fußballerisch nicht viel. Hertha BSC dümpelte `87 neben Tennis Borussia Berlin in der gleichen Liga wie Türkiyem. Fußballerisch auf einer Ebene mit den Herthanern, auf dem Sprung die altersschwache Lady hinter sich zu lassen, zeigte Türkiyemspor den Arbeitsmigranten, dass Erfolg und soziale Anerkennung für Türken in Deutschland möglich sein konnte, als der Club 1987 im Poststadion gegen Hertha BSC kickte. 12.000 Zuschauer wollten das Spiel gegen Hertha sehen, die meisten feuerten die Türken an.

Euphorie pur, Höllentanz im Poststadion. Letztlich scheiterte Türkiyem gegen Hertha und in der Folge mehrfach knapp im Kampf um den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Nebenher hatte sich Türkiyemspor aufgrund seiner Popularität zum Hauptfeind der deutschen Neonazis entwickelt. Bei etlichen Spielen im Osten Deutschlands kam es seitens der Heimfans zu rassistischen Schmährufen gegen Türkiyemspor. Eine Welle der Ablehnung schlug dem Klub im Osten entgegen.

Aber auch die türkischen Fans konnten durchaus ausarten, wenn sie das Gefühl hatten, ihrem Klub würde böse mitgespielt. Als am 1. Mai 1991 wieder mal der Nichtaufstieg in die Zweite Liga nach einer 0:5-Niederlage gegen Tennis Borussia Berlin besiegelt war, fanden im Kreuzberger Katzbachstadion schwere Ausschreitungen seitens der Türken statt.

Der Klub fühlte sich Anfang der 90er vom Berliner Fußballverband betrogen

Einem Spieler, der zu Saisonbeginn zu Türkiyemspor gewechselt war, wurde rückwirkend die Spielberechtigung aufgrund eines Verfahrensfehlers entzogen. Die Mannschaft musste innerhalb von zehn Tagen drei bereits gewonnene Spiele wiederholen. Danach ging es im entscheidenden Spiel gegen TB.  Auf dem Zahnfleisch kriechend, verloren die Kreuzberger – und Kreuzberg brannte. In der Folge durfte Türkiyemspor nicht mehr im heimischen Kreuzberger Katzbachstadion spielen und musste sich mit dem BFC Dynamo den Ostberliner Jahnsportpark teilen. Aus der Traum vieler Emigranten vom türkischen Fußballverein in der Bundesliga. Seither gingen die Zuschauerzahlen massiv in den Keller.

Trotz großen sozialen Engagements und damit verbunden Preisen und Auszeichnungen besuchte kaum ein Berliner die Spiele. 1995 stieg der Verein erstmalig in der Vereinsgeschichte ab. Seither war die Regionalliga die höchste Klasse für den Klub. Obwohl er sich länger behauptete als seine ungleichen türkischen Berliner Brüdervereine Türkspor, Yesilyurt und Ankaraspor, die meist nur einen Sommer auf der Bildfläche waren. Türkiyemspor war nach 1991 ein durchschnittlicher Klub, der keine bestimmte Anbindung an eine Klientel hatte. Selten verloren sich mehr als 100 Heimzuschauer im Stadion.

Türkiyemspor droht Zwangsabstieg

 In der letzten Saison wollte man mal wieder in der Oberliga-Nordost angreifen. Der Versuch misslang kläglich. Angetreten mit dem Trikotsponsor \"betfair\" zog Türkiyemspor die erste Niete. Da bis heute keine Werbung für Wettanbieter  in Deutschland erlaubt ist, war der neue Sponsor sehr schnell wieder weg, genauso wie Neutrainer Marco Gebhardt und alle Kicker, die einigermaßen gut spielen konnten. Hinfort prangte der Schriftzug \"Be Fair\" auf den Trikots.

Die erste Mannschaft bot im vergangenen Herbst Jugendspieler auf und übergab sich der Agonie. Am Jahresende 2011 wurde die Männermannschaft aus dem Spielbetrieb der Oberliga Nordost zurückgezogen. Der ehemalige Multi-Kulti-Verein meldet Insolvenz an.

 „Wir stecken in der schwersten Krise der Vereinsgeschichte“, hatte Türkiyemspor-Manager Cemal Can schon vor einem halben Jahr gesagt. Gleichzeitig beteuerte er aber, man hätte die größten Probleme überwunden und sei auf dem Weg der Besserung. Tatsächlich jedoch hat die Krise inzwischen einen neuen Höhepunkt erreicht, und das Insolvenzverfahren, das im Oktober 2010 gerade noch abgewehrt wurde, ist nun offiziell eingeleitet worden. Es ist der letzte Versuch, den seit langem mit finanziellen Problemen kämpfenden Kiezverein zu sanieren.

Durch die jetzt angemeldete Insolvenz steht der Zwangsabstieg in die sechste Liga bevor. In Zukunft soll bei den Kreuzbergern die Jugendarbeit im Fokus stehen. Die Verbindlichkeiten insgesamt liegen im mittleren sechsstelligen Bereich.

Yalcin Sancar übernahm bei der jüngsten Umwälzung des Vorstands im Februar das Präsidentenamt, die entscheidenden Fehler wurden seiner Aussage zufolge aber schon vorher begangen. „Mir wurden falsche Zahlen genannt, Verpflichtungen gegenüber dem Finanzamt waren schon seit Monaten vernachlässigt worden“, sagt Sancar. Der Gang in die Insolvenz sei für ihn zwar schmerzhaft, aber unvermeidlich. „Wir müssen vernünftiger werden und wollen eine transparente Vereinsstruktur schaffen“, so der Türkiyemspor-Präsident weiter. Ümit Ünsal, im Februar als Geschäftsführer eingesetzt, gab nach nur fünf Monaten entnervt auf. „Von den neu eingesetzten Funktionären haben einige überhaupt nichts gemacht“, sagte Ünsal dem Tagesspiegel. Der Ex-Geschäftsführer bescheinigt Türkiyemspor auch unter dem aktuellen Vorstand große Defizite in der Vereinsstruktur sowie außerdem Kompetenzprobleme. Deshalb habe er schon vor zwei Jahren für eine Insolvenz plädiert.

Wie es mit der Oberliga-Mannschaft weitergeht, ist völlig unklar. Derzeit taumeln die Kreuzberger mit Interimstrainer und zusammengewürfelter Truppe von Niederlage zu Niederlage. Ob die aktuelle Saison überhaupt zu Ende gespielt werden kann, lässt sich frühestens am Jahresende sagen. Die Spielerverträge werden aufgelöst. Fraglich ist außerdem, ob die Ausgaben für den Spielbetrieb bei laufendem Insolvenzverfahren genehmigt werden und ob der Nordostdeutsche Fußballverband eine in jeglicher Hinsicht nicht konkurrenzfähige Mannschaft in der Oberliga dulden würde.

Der Klub will nun in erster Linie die A-Junioren beim noch möglichen Aufstieg in die Bundesliga unterstützen. Zumindest hier scheint dank unabhängiger Geldgeber von der Krise im Hauptverein nicht viel angekommen zu sein.

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