Dialog-Reihe „Olympia“ der Berliner Sportgespräche am 15.12.2014

Ein gutes Zeichen: die bisher lebhafteste Olympiadebatte

Der berühmte Vergleich zwischen Optimisten und Pessimisten, der für ersteren ein mittig gefülltes Glas Wasser für „halbvoll“ und den zweiten für „halbleer“ erklärt, passte auch hier. Die einen sahen die Podiumsdiskussion der Dialogreihe „Olympia“ im Rahmen der von der Stiftung Zukunft Berlin und dem Landessportbund veranstalteten „Berliner Sportgespräche“ zum spannenden und doppelt aktuellen Thema „IOC-Reform-Agenda 2020 – Ein Fortschritt ?“ als bisher lebhafteste Debatte in der Hauptstadt zum Thema an. Die anderen, Minderheit zwar, aber mit ihrer selbstgewählten Lautstärke nicht zu überhören, qualifizierten den Versuch, die Diskussion konstruktiv anzufeuern, als „inhaltsleer“, „dröge“ und richtungslos an.

Eingeladen hatten die Veranstalter in die VIP Lounge der Max-Schmeling-Halle, gekommen waren rund 150 Interessenten, die zumeist reden und hören, einige wenige aber auch schreien und stören wollten. Das hatte immerhin so viel Wirkung, dass sich LSB-Präsident Klaus Böger zur Unterbrechung seiner Begrüßung gezwungen sah. Und dabei die offenbar bauchgeborene Blitzidee hatte, seinen vorgesehenen Platz im Podium Dr. Gabriele Hiller anzubieten. Die Sportpolitische Sprecherin der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, die als einzige Fraktion eine Olympiabewerbung der Hauptstadt ablehnt, ist einer der prominentesten Vertreterinnen der NOlympia-Bewegung. Das durfte durchaus als praktische Umsetzung der bei früheren Foren bereits wiederholt bekundeten Bereitschaft interpretiert werden, gerade auch mit den Berlinerinnen und Berlinern ins Gespräch zu kommen, die die Spiele derzeit ablehnen und zu hinterfragen, was denn zu tun sei, damit diese sie auch „wollen“. Ein schwieriger Vorgang, wie sich wieder einmal zeigte, und der das Miteinander-Reden-Wollen auf beiden Seiten voraussetzt. Stoff zum Diskutieren bot sich mit dem gewählten Thema und dessen Anbindung an die Olympiabewerbung zuhauf – jeder der um Dr. Gabriele Hiller bereicherten Vierer-Runde garantierte Kompetenz, Wissen und Eigenwilligkeit in den Ansichten.

In der von „Tagesspiegel“-Sportchef Friedhard Teuffel einigermaßen kess moderierten Debatte wurden vom Sportsoziologen Prof. Helmut Digel, Ehrenpräsident des Deutschen Leichtathletikverbandes, Sylvia Schenk, Ex-Olympionikin, danach mehrfach verantwortliche Sportfunktionärin und heute bei Transparency International sowie von Blogger und Sportpolitik-Experte Jens Weinreich Standpunkte und Meinungen vertreten, die zu Streit und Debatte regelrecht einluden. Und das war auch gut so! Besser solche Diskussionen mit Zwischenrufen (so sie konstruktiv bleiben), Spontanbeifall, Kopfschütteln oder -nicken, als müde herabgesunkene Häupter. Volker Hassemer, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin, hatte den rund zweieinhalbstündigen Austausch von echten und vermeintlichen Argumenten mit der Bemerkung begonnen, es gehe darum „zum ersten Mal ein Verfahren zu finden, wo tatsächlich jedes Argument gleichberechtigt in Konkurrenz tritt“. Keine durch die Politik betriebene, sondern „eine bürgerschaftliche Bewerbung“ brauche man. Ein Anspruch, dem die Veranstaltung danach zu mindestens in Ansätzen folgte.

Moderator Teuffel eröffnete mit einer gezielt provokanten Frage: „Wir wollen wissen, wieviel Leben noch in dieser Bewerbung steckt ...“ Und wie sich in diesem Kontext die IOC-Reformagenda verortet. Sylvia Schenk sah sie überraschend positiv, meinte, das habe sie sich „vor einem Jahr nicht träumen lassen“. Auch Digel gab ihr gute Noten, „viele im IOC und vor allem in den Fachverbänden haben die Reichweite der Beschlüsse noch gar nicht erfasst“. Seit der Präsidentschaft von Jacques Rogge sei das IOC eine der transparentesten Organisationen, die er kenne. Jens Weinreich freilich sah das ganz anders: „An der Kultur im IOC, an dessen Struktur in Bezug auf die Vergabe Olympischer Spiele hat sich noch nichts verändert. Es liegt nichts Konkretes auf dem Tisch.“ Sylvia Schenk sah daraufhin die Gefahr eines Verlustes der Dialogfähigkeit. Viele Dinge beurteile auch sie kritisch, „aber wir müssen uns fragen, ob wir Olympische Spiele überhaupt woollen oder sie abschaffen“. Das klang nach Weinreich nach dem „langen Marsch durch die Institutionen“, nach Mitmachen, um was zu verändern. Und Schenk antwortete später indirekt darauf: „Ja, ich will Veränderung!“ Viele einzelne Punkte aus der Diskussion wären zu nennen. Zum Teil sehr spezielle, zum Teil sehr detaillierte, zum Teil aber auch emotionale.

Die – und hier darf man trotz der noch bescheidenen Dimension – die Pionierrolle der Veranstaltung loben, in der eben nicht nur intellektuelle Vorträge von Experten zu Gehör und Geltung kamen, sondern in der offenen Debatte auch „Volkes Stimme“ von Vertretern des Basissports, von Anwohnern, von Spektikern und von Euphorikern. „Der Sport muss Farbe bekennen!“, forderte etwa Wolf-Rüdiger Schulz, zweimal Olympiateilnehmer im Wasserball in den 60ern. „Bisher passiert das viel zu wenig.“ Sein Vorschlag: „Lasst die 'alten' Teilnehmer, die von früheren Spielen, den wunderbaren Erlebnissen und der Botschaft Olympias erzählen können, in die Schulen gehen – damit dort die Begeisterung wachsen kann.“ Wichtig sei, so kam es immer wieder zum Ausdruck, den Berlinern zu zeigen, wofür man Olympische Spiele brauche. Die machten nur dann Sinn, wenn sie einen Innovations- und Aufmerksamkeitsschub für den gesamten Sport bringen. Sylvia Schenk fand einen schönen Satz für die derzeit so oft beschworene Stimmungslage der Hauptstädter: „Skepsis ist gut, wenn sie die, die die Entscheidungen treffen, vor sich her treibt.“

Da passte am Ende der turbulenten Veranstaltung, die nach Ansicht des Autoren, der einstweilen in den vergangenen Wochen und Monaten bereits mehr als ein halbes Dutzend von der Anlage her ähnlicher erlebt hat, mit Abstand trotz mancher inhaltlicher Defizite die beste war, Klaus Bögers Schlussbeitrag sehr gut. Der erste Mann des Sports bewies, dass er zuvor - „Der Sport muss sich bekennen!“ - gut zugehört hatte. Sein Statement hatte Feuer, Leidenschaft und gab dem plakatierten Slogan „Wir wollen die Spiele! - Machen Sie mit!“ die richtigen und vor allem glaubwürdigen Worte.

Text: Klaus Weise
Foto: Jürgen Engler

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